KTQ - Fachartikel
Klinisches Risikomanagement auf Grundlage des KTQ-Managementmodells
Grundlagen
Das SGB V und der Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) formulieren Vorgaben zum Qualitätsmanagement und zur Qualitätssicherung. Aussagen zum klinischen Risikomanagement sind in der Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL des G-BA) Stand 17. Dezember 2015 als Grundlagendokument zu finden. Die QM-RL vom G-BA legt zudem fest, dass Doppelstrukturen von Qualitäts- und Risikomanagement (QM u. RiskMan) möglichst zu vermeiden sind. Somit sollen beide Bereiche zusammenarbeiten und sich gegenseitig austauschen und unterstützen. Dies ist sehr gut möglich, da Risiko- als auch Qualitätsmanagement die gleiche Sprache, die gleichen Definitionen und die gleichen Instrumente nutzen.
RiskMan dient dem Umgang mit potenziellen Risiken, der Vermeidung und Verhütung von Fehlern und unerwünschten Ereignissen und somit der Entwicklung einer Sicherheitskultur. Kliniken sind verpflichtet, unter Berücksichtigung der Patienten- und Mitarbeiterperspektive alle Risiken in der Versorgung zu identifizieren, zu analysieren und gezielt Maßnahmen zur Risikominimierung umzusetzen. Eine individuelle Risikostrategie umfasst dabei das systematische Erkennen, Bewerten, Bewältigen und Überwachen von Risiken, die Analyse von kritischen und unerwünschten Ereignissen, aufgetretenen Schäden, sowie die Ableitung und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen.
Die Umsetzung
Der Unterschied zwischen QM und RiskMan besteht lediglich darin, dass das QM auf das Tagesgeschäft, eine Normalsituation, kleine Abweichungen und Störungen, sowie auf operationelle Prozesse ausgerichtet ist. Die Schwerpunkte des RiskMan liegen jedoch auf den Ausnahmesituationen, den großen Abweichungen, dem „Credible Worst Case“, sowie auf den Zielen, Tätigkeiten und Anforderungen . Im übertragenden Sinne haben QM und RiskMan viele Gemeinsamkeiten. Sie unterscheiden sich jedoch maßgeblich in der Betrachtungsweise, die entweder durch eine Qualitäts- oder eine Risiko-Brille bestimmt wird.
Im RiskMan steht der „Worst-Case“ oder auch der „schlimmste vorstellbare Fall“ im Vordergrund. Für eine Klinik kann dieser die nachstehenden Auswirkungen mit sich bringen und unmittelbar negativ auf den Bestand der Klinik auswirke
- Personengefährdung /-schädigung bis Tod (Patienten, Mitarbeiter, sonstige Personen)
- Rückgang von Fall- und Leistungszahlen
- Sachschädigung (Gebäude, Maschinen, Material, Systeme)
- finanzielle Einbußen bis Insolvenz, etc.
Es haben jedoch nicht alle Risiken eine direkte Bestandsgefährdung zur Folge. So sind Risiken zu beachten, die als Vorstufe in ihrer dauerhaften Auswirkung eine Bestandsgefährdung auslösen können.
- Unzufriedenheit der Anspruchsgruppen (Patienten, Zuweiser, Angehörige etc.)
- Vertrauensverlust bei den Anspruchsgruppen
- negative Berichterstattung (Presse, Social-Media, Internetforen), etc.
Eine Mamutaufgabe im RiskMan, die ohne eine konkrete Struktur schwer bis gar nicht zu leisten ist, besteht in der Erhebung einer unendlich großen Zahl möglicher Risiken. Folgende Fragestellungen ergeben sich:
- Gibt es Bewertungsverfahren, die indikatorenbasiert, klinikrelevante Risiken abbilden?
- Besteht die Möglichkeit, mit einem systemischen Ansatz anhand eines Kriterienkatalogs, alle möglichen Risiken abzudecken?
Der Organisation obliegt es, alle Risiken in der Versorgung (einschließlich der potenziellen) zu identifizieren und zu analysieren.
Normen zum Risikomanagement
Bewährt ist, auf bestehende Systeme aufzubauen und nicht das Rad neu und aufwendig zu erfinden. Gängige Systeme wie die DIN EN ISO 31.000 oder die ÖNORM 4900:2021 (Österreichische Norm für Risikomanagement) liegen als Management-Systeme vor. Die Normforderungen sind für alle Branchen im produzierenden und Dienstleistungsgewerbe formuliert, gehen jedoch nicht auf die speziellen Gegebenheiten von Kliniken ein. Es ist daher die Aufgabe jeder Einrichtung die Normforderungen auf das Gesundheitswesen und auf die eigene Klinik zu transferieren.
Der Vollständigkeit genügend sei an dieser Stelle auf das vom deutschen Gesetzgeber am 1. Mai 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) zur Diskussion verbesserten Unternehmensführung und Unternehmensüberwachung hingewiesen. Ziel ist es, das RiskMan im deutsche Corporate-Governance-System zu konkretisieren, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu regeln und Elemente des RiskMan zu benennen.
Kooperation, Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) Es lohnt sich der Blick auf das Managementmodell und Zertifizierungsverfahren der KTQ, dass sich zum Ziel gesetzt, hat die Qualität im Gesundheitswesen zur fördern.
Das KTQ-Manual und das darauf aufbauende Zertifizierungsverfahren beziehen sich in 6 Kategorien (Patientenorientierung, Mitarbeiterorientierung, Sicherheit, Kommunikations- und Informationswesen, Unternehmensführung und Qualitätsmanagement) auf die spezifischen Abläufe und Prozesse im Krankenhaus. Den Schwerpunkt dieses von der Praxis für die Praxis entwickelten Verfahrens besteht darin, die Sicherheit im Krankenhaus im Sinne der Patienten- und Mitarbeiterorientierung zu verbessern und dabei der Unternehmensführung die etablierten Instrumente des Qualitätsmanagements an die Hand zu geben.
Das KTQ-Modell stellt als praxisorientiertes Verfahren unter Berücksichtigung des PDCA-Zyklus den Patienten in den Mittelpunkt und ist auf die spezifischen Prozessabläufe im Gesundheitswesen konzipiert.
Um die Kriterien zu operationalisieren, sind konkrete Ziele, Anforderungen und Tätigkeiten definiert. Inhaltlich berücksichtigt werden dabei die Vorgaben des G-BA, des Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung e. V. (DAKEP) und auf freiwilliger Basis des Deutschen Palliativ-Siegels (MeSeGe).
Im Weiteren werden Themen, die unter haftungsrechtlichen Aspekten besonders sicherheitsrelevant sind, gekennzeichnet. Hervorgehoben werden Schwerpunkte, über die Kliniken mit einer forensischen Ausrichtung verfügen.
Bedeutung in der Umsetzung
Die erste Kernaussage, die verinnerlicht werden muss, ist die Definition „Risiko“. Nach Festlegung in der ONR 49.000 ist ein Risiko, „die Auswirkung einer Unsicherheit auf Ziele, Tätigkeiten und Anforderungen. Eine Unsicherheit / Ungewissheit entsteht durch widersprüchliche Informationen, mangelhafte Datenlage, statistische Abweichungen, mangelndes Wissen, Unschärfe in der Terminologie oder unzureichende Kommunikation über Ziele, Tätigkeiten und Anforderungen“.
Da im KTQ-Manual in den Kriterien konkrete Ziele, Tätigkeiten und Anforderungen festgelegt sind, ist es möglich, aus diesen Beschreibungen eine Risikoliste abzuleiten.
Folgender Ablauf ist dabei praktikabel:
- Ziele, Tätigkeiten und Anforderungen aus dem KTQ-Manual in das RiskMan übertragen.
- Unsicherheiten aus den Anforderungen ableiten und Auswirkungen (Risiken) definieren.
- Indikatoren und Grenzwerte festgelegen.
- Dokumente benennen, aus denen die Indikatoren abgeleitet werden oder eine Erhebung erfolgt.
- Risikobewertung in einem Bewertungsschema im IST und SOLL.
- Ableitung vorbeugender Maßnahmen zur Reduzierung der Risiken.
Von der KTQ-Anforderung zum Risiko: Beispiel einer Umsetzung Anhand des KTQ Kriteriums 1.4.3 (Operative und interventionelle Prozesse) wird nachfolgend exemplarisch die Risikoerhebung dargestellt. Das Kriterium beschreibt in 5 Unterpunkten (Anforderungen) die Vorgaben an ein Management operativer und interventioneller Prozesse (siehe Abb. 1).
1 | KATEGORIE: PATIENTENORIENTIERUNG |
---|---|
1.4 | SUBKATEGORIE: Stationäre Versorgung |
1.4.3 | Kriterium: Operative und interventionelle Prozesse |
1 | * Regelungen zur Organisation von OP und interventionellen Funktionsbereichen: Statute für OP- und Funktionsbereiche, Ziele und Berichtswesen, OP-Koordination, Kapazitätsplanung inklusive Intensivstation, Elektiv-und Notfallregelungen, Versorgung spezieller Patientengruppen z. B. Zeugen Jehovas |
2 | * Indikationsqualität, Prämedikation, OP-Vorbereitung, Voruntersuchungen, interdisziplinäre Abstimmung der beteiligten Fachgebiete, Berücksichtigung patientenbezogener Risiken, z. B. anästhesiologischer und operativer Risiken |
3 APS | * Handlungsempfehlungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS), WHO Checkliste etc. HE: Eingriffsverwechslungen in der Chirurgie; Jeder Tupfer zählt |
4 | * Patiententransport, Schleuse inkl. Lagerungsstandards, intraoperativer Prozess, OP-Dokumentation, Aufwachraum, periphere Station/Intermediate Care/Intensiv |
5 | * Führen und Analyse eines OP-Berichtswesens und bei Bedarf Ableitung von Maßnahmen zum Erreichen der definierten Ziele |
* | = | Haftungsrechtlich besonders sicherheitsrelevante Aspekte |
F | = | Forensik |
G-BA RL | = | Richtlinie Gemeinsamer Bundesausschuss |
APS HE | = | Handlungsempfehlung Aktionsbündnis Patientensicherheit |
DAKEP | = | Deutsche Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung |
MeSeGe | = | Medizinisches Seminar George – Deutsches Palliativ Siegel |
(Abb. 1: KTQ-Manual, Seite 53)
Unter Beachtung der Anforderungen ist eine Risikoerhebung und Bewertung wie folgt möglich. Dabei bezieht sich die Nummerierung der nachfolgenden Punkte auf die jeweilige Anforderung des KTQ-Manuals. Die benannten Indikatoren sind mögliche Messwerte.
Risiko 1
(1) Ressourcenverschwendung (fehlerhafter Einsatz von Mitarbeitenden, Material, Kapazitäten), da Regelungen zur Organisation von OP und interventionellen Funktionsbereichen nicht vorliegen bzw. nicht stringent umgesetzt werden.
Indikatoren
Umsetzung Vorgabedokumente und Regelungen (%)
abgesetzte OPs auf Grund fehlender OP-Kapazitäten (Anzahl)
abgesetzte OPs auf Grund fehlender Mitarbeiter-Kapazitäten (Anzahl)
abgesetzte OPs auf Grund fehlender ITS-Kapazitäten (Anzahl)
nicht genutzte OP-Kapazitäten-Leerstand (Anzahl, Zeiteinheiten)
Wartezeiten OP-Team auf Operateur etc. (Anzahl, Zeiteinheiten)
Naht-Schnitt / Schnitt-Naht (Zeiteinheiten)
Patienten*innenbeschwerden über OP-Organisation wie Wartezeiten, OP-Verschiebung/Absage (Anzahl)
Dokumente
OP-Statut / Vorgabedokumente
OP-Berichtswesen
Beschwerdemanagement
Risiko 2
(2) Patienten*innenschädigung (Komplikationen bis Tod), aufgrund unzureichender OP-Vorbereitung, Indikationsqualität, Prämedikation, OP-Vorbereitung, Voruntersuchungen, interdisziplinäre Abstimmung der beteiligten Fachgebiete, Berücksichtigung patientenbezogener Risiken (anästhesiologischer und operativer Risiken).
Indikatoren
Patienten*innenschaden (Anzahl)
Komplikationen (Anzahl)
Klage- / Schiedsstellenverfahren (Anzahl)
Negative Gerichtsurteile (Anzahl, €)
Schmerzensgeld (€)
Dokumente
Schadensmeldungen
Klageschriften
Schiedsstellenanfragen /-bewertungen
Gerichtsurteile
Komplikationsstatistik
Nach diesem Muster könnten für alle 5 Anforderungen des KTQ-Kriteriums die Risiken definiert und entsprechend des Risikos ein bestimmender Indikator festgelegt werden. Nach Ermessen der Organisation sind Grenzwerte (tolerabel bis kritisch) zu definieren und anschließend zu messen (Abb. 2).
Nach Definition der Risiken und der Bewertung der Indikatoren kann anschließend eine Gesamt-Risikobewertung des Kriteriums (hier 1.4.3) erfolgen (Abb. 3).
Bewertet man so jedes Kriterium des KTQ-Manuals, hat der Anwender durch die Gesamtheit aller in sich zusammenhängenden Risiken eine übersichtliche Systembewertung seiner Einrichtung.
Fazit:
Das KTQ-Modell ist mit seinem Best Practice Ansatz von der „Praxis für die Praxis“ sehr geeignet, die Qualität im Krankenhaus zu erhöhen und mögliche Risiken zu minimieren. In diesen Managementansatz wird besser als in anderen Managementverfahren deutlich, dass Qualitäts- und Risikomanagement unmittelbar zusammengehören. Sie bedürfen jedoch in der Ausführung einer unterschiedlichen Sichtweise. Das KTQ-Manual Krankenhaus bietet dabei eine sehr gute Grundlage zur Umsetzung eines auf den Kernauftrag einer Klinik ausgerichtetes QM-Systems und eignet sich auch ohne Zertifizierung ideal für eine Ist-Zustands-Analyse. Da das KTQ-Manual sich explizit und spezifisch auf die Prozessabläufe einer Klinik bezieht, können im Umkehrschluss aus den Anforderungen des KTQ-Manuals Risiken abgleitet werden. Sind alle Risiken im Rahmen der Kriterien und Kategorien durch Mess- und Grenzwerte festgelegt und bewertet, so ergibt sich ein Gesamtbild der Risikobereiche. Natürlich darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass neben der Systembewertung immer weitere möglich Einzelrisiken kontinuierlich hinzukommen können. Diese können aus einzelnen Komplikationen, Sach- und Personenschäden, CIRS-Meldungen, Beschwerden, M&M-Konferenzen oder sonstigen Rückmeldungen erhoben werden und ergänzen das Risikomanagement. Zu betonen ist, dass die unzureichende Umsetzung eines QM-KTQ-Kriteriums somit immer mit einem Risiko verbunden wird.
Autoren
Kessen, Heinz-Josef: Dipl. Pflegewirt, Qualitätsmanager im Gesundheitswesen, KTQ-Visitor, klinischer Risikomanager, DAKEP-Visitor, EFQM-Assessor.
Busche, Karl-Heinz: Dipl.-Kfm., M.A., Qualitätsmanager und Fachauditor im Gesundheitswesen, KTQ-Visitor, klinischer Risikomanager, DIN EN ISO-Auditor; EFQM Assessor
Quellenverzeichnis
Austrian Standards Plus GmbH (2016): Wien; Normensammlung, Risikomanagement; 2aktualisiert Auflage, unveränderter Nachdruck 2016: ISBN 978-3-85402-295-4
KTQ-GmbH, Berlin (2021): KTQ-Manual - KTQ-Katalog – KRANKENHAUS Version 2021
Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser (Qualitätsmanagement-Richtlinie/QM-RL) in der Fassung vom 17. Dezember 2015 veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 15.11.2016 B2) in Kraft getreten am 16. November 2016 zuletzt geändert am 17. September 2020 veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 08.12.2020 B2) in Kraft getreten am 9. Dezember 2020
Kahla-Witsch, Heike (2018): Euro Risk Limited; Langnau/Schweiz; Seminarunterlagen zur Ausbildung klinischer Risikomanager